Ich bereise seit 2005 die Völker rund um den Himalaya. Viele sind an der Schwelle zu einer globalisierten Kultur. Die versprengten Völker in Nepal, Xinjiang, Tibet, Bhutan, Assam, Yunnan … die sich gegen Hinduismus, Islam, Christentum und Buddhismus gerade noch so wehren konnten, haben gegenüber 7Eleven, McDonalds, Taobao, Starbucks und Toyota praktisch keine Chance mehr. Die erosive Vorleistung der Religionen wird jetzt beendet durch einen hundertprozentig austauschbaren Konsumismus ...

Diesen Lauf der Dinge aufzuhalten, halte ich für verlorene Liebesmüh. Siehe die vergeblichen Versuche in Irland oder dem Baskenland, wo man versucht, die keltische Identität, Kultur und Religion zu schützen bzw. wiederzubeleben.  Wohin, wie in diesem Fall das Christentum oder bezüglich der Himalaya-Voelker der Buddhismus bzw. Islam einmal hingelangt hat, bleibt nichts beim Alten.

Damit man mich richtig versteht, als Kind Ostdeutschlands kann ich es völlig verstehen, wenn man seine Sachen packt, den alten Kram hinter sich lässt und sich in die weite Welt stürzt. Man lebt nur einmal. Ich hätte auch keine Lust im Theme-Park Ostdeutschland, mit Wisent-Jeans, Dederonbeutel und Trabi, für Besucher den Zonendödel zu mimen …. der Kultur wegen ...

Das ist "der Lauf der Dinge" und der ist weder schlecht noch gut. Hinzu kommt, wenn nicht ständig Leute ihre Sachen packen würden, dann lebten wir heute noch in Höhlen …

 

Fotografie und Quanten-Dings

Dennoch stellt man sich die Frage, ob man diese ganz sicher verschwindenden Kulturen nicht irgendwie konservieren kann? Man versucht es natürlich. Die Firma CANON z.B., hat diesbezüglich das Programm “Cultural Heritage Inheritance Project“  (Tsuzuri) ins Leben gerufen.

Aber mit Völkern, Kulturen und Religionen verhält es sich nun mal wie mit Quanten, will man sie beobachten, dann verändern sie sich.  Je mehr man diese Völker beobachtet, die Kultur archiviert, katalogisiert, systematisiert … desto schneller verschwindet sie bzw. verändert sie sich.

Dieses Dilemma ist nicht auflösbar und existiert auch dann, wenn man von innen heraus eine Kultur beobachtet. In der untergegangenen “DDR-Kultur” gab es diverse Fotografen, die diese archiviert und zugleich nachhaltig veränderten oder gar prägten. (Siehe Thomas Steinert)

Das Volk der Naxi/ Musuo

In Lijiang (Yunnan) leben etwa 40 verschiedene ethnische Gruppen. Die bekannteste und größte ist die Naxi-Kultur (neben den Han). Wie bei vielen Völkern des Himalaya (vor dem Einfall des Buddhismus/Islam/Christentum) ist diese Gesellschaft matriarchalisch und matrilinear. Heißt stark verkürzt, dass die Frauen alle wichtigen Entscheidungen treffen und die Erbfolge weiblich ist.

Vorn die Mutter, dahinter die Töchter und Enkelinnen und ganz hinten bzw. seitlich die Männer.


Überall im Straßenbild von Lijiang sieht man hart arbeitende Frauen - auf Baustellen, den Geschäften, dem Feld. Männer haben sich zuerst um das Vieh, das Töten und die Politik zu kümmern.


Traditionell gibt es keine 'westliche' Ehe bei den Naxi/ Musuo. Die Männer können in die Häuser der Mütter kommen und dort mit einer Frau zusammen leben. Wenn die Beziehung nicht mehr funktioniert, kehren sie in ihr eigenes Mutterhaus zurück. Es ist relativ normal, dass eine Frau Kinder von verschiedenen Männern hat. Allerdings gibt es kaum Promiskuität.
(Die oft zitierte chinesische Ein-Kind-Ehe gilt nur fuer die Han-Ethnie. Alle anderen 55 chinesischen Ethnien koennen so viele Kinder bekommen wie sie wollen und werden diesbezueglich staatlicherseits teilweise sogar unterstuetzt.)

Im Westen wurde diese Gesellschaftsform von Sozialromantikern und dumpfen Esoterikern gelegentlich idealisiert - doch diese matrilineare Gesellschaftsform ist den Umständen geschuldet. Die Fruchtbarkeit bei den Naxi ist gering und der Genpool ist sehr klein. Um das blanke Überleben zu sichern, hat sich diese Gesellschaftsform als die geeignetere erwiesen.

Haupteinnahmequellen der Naxi sind heute Landwirtschaft und Tourismus.


Die chinesische Administration versucht den Tourismus zu kanalisieren und konzentriert diesen auf die sogenannten Scenic Spots wie Lijiang, Baisha, Shangrila usw. Die anderen Refugien werden durch diverse Schutzmaßnahmen von den Touristenströmen zu trennen. Leider hat das Matriarchat auch zu einer bizarren Art des Sextourismus geführt. Insbesondere esoterische Backpacker sind ein ernsthaftes Problem geworden. Mein Wunsch wäre, man begrenzt dies wie in Bhutan.

Die Sprache

Ich habe vor einiger Zeit für den Happyshooting Podcast das Motto  „3-2-1 Happy Shooting“ aufgezeichnet. Man hört, die Sprache unterscheidet ganz erheblich vom Chinesischen.

Viele ältere Naxi sprechen nur mäßig Hochchinesisch. In Yuhu beispielsweise können viele alte Leute Englisch. Im WWII hatten die Amerikaner eine kleine Airbase im Tal. Auch der bekannte Biologe Joseph Franz Karl Rock, der dort von 1920 − 1949 wohnte, hat wohl zu der kuriosen Tatsache beigetragen.

Ein Freund von mir wohnte direkt neben Dr. Ho, welcher es im Westen dank Bruce Chatwin zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat. Sohn Jonathan Chatwin hat was zum Dr. gepostet.

Dr. Ho

 

Die Sprache ist mit dem Tibetischen verwandt - dennoch liegt vieles im Dunkeln. Es gibt ungefähr 350,000 Naxi von denen allerhöchstens noch die Hälfte Naxi sprechen können. Die Schrift (auch Dongba genannt) beherrschen noch weniger. J.F. Rock hatte damit begonnen, die Schrift und die Sprache genauer zu erforschen.


Natürlich hat das Matriarchat einen Einfluss auf die Sprachentwicklung. Die Vorsilbe „weiblich“ ist eine Art Superlativ und vergrößert Dinge und entspr. „männlich“ Diminutiv kleiner. Ein „weibliches Feld“ ist ein großer Acker, ein „männliches Feld“ ein Gemüsebeet.

Auf dem Weg von Lijiang nach Baisha fährt man an der Lijiang University vorbei. Dort sollen vor allem Naxi und die anderen Lijiang Minoritäten ausgebildet werden, z.T. in Naxi Sprache und von Naxi Professoren. Naxi Kinder (wie alle Minoritäten in China) bekommen einen Bonus in der Ausbildung. Wie in ganz China ist auch in Yunnan die Hochschulzugangsvoraussetzung das sogenannte GaoKao(高考). In diesem Examen ermoeglicht die Anzahl der erreichten Punkten eine entsprechende Uni. Naxi bekommen 20 Bonuspunkte.

Die Religion

Auch über die Religion der Naxi liegt vieles im Dunkeln. Ganz sicher ist, dass es sich nicht um einfachen Schamanismus handelt. Die Religion ist komplex und hat diverse Einflüsse aus der im Westen bekannteren Bön erhalten. Möglicherweise ist sie sogar ein letzter Rest dieser legendären Religion des Himalaya, bevor der Buddhismus diese auslöschte.

Wie auch in Bhutan und Tibet versuchen die Buddhisten die Bön/ Dongba als minderwertig, schamanisch, animistisch zu diskreditieren. Auf lange Sicht wird ihnen das gelingen, bzw. ist es schon gelungen. Wie auch das Christentum in Europa assimiliert der Buddhismus alles Verwertbare und unterdrückt alles Störende.

Dongba steht sowohl für die Schrift als auch für die Priester(innen).

Die Natur

Ornithologen ist die Gegend um den Lashi See bestens bekannt. Ebenso wie in Bhutan kann man die Schwarz-Hals-Kraniche oder die Streifengans finden.  

Leider kein Schwarz-Hals-Kranich, sondern ein ganz ordinärer.


Wer sich etwas anstrengen möchte, dem steht praktisch ein ornithologisches Paradies offen. Verschiedene Reiseveranstalter bieten Trekking-Touren für Naturfreunde an. Allerdings sind die meist recht beschwerlich und zeitlich straff organisiert. Lijiang selbst liegt auf ca. 3,000 m und von da an geht es nur noch aufwärts. Viele Wanderwege sind zwischen 4 − 5,000 m. (Sauerstoff gibt es überall zu kaufen)

Will man es etwas bequemer, fährt man hin, akklimatisiert sich etwas und sucht sich dann einen entsprechenden Guide mit einem 4Wheel Truck. Der kann einen dann zu den Ausgangspunkten fahren und von dort an begleiten. Die diversen Wanderreisegruppen haben i.A. einen etwas zu organisierten Zeitplan, was für Fotografen so ziemlich das letzte ist, was man haben möchte. 4Wheel + Guide kostet pro Tag ca. 300-400 RMB. Mit etwas Glück ist der Guide auch offen und lädt einen in die Familie oder sein Dorf ein. Englisch ist bei den meisten Naxi kein Problem, aber chinesische Sprachkenntnisse oder eine chinesische Begleitung sind hilfreich.

Lijiang Old Town


Der bekannteste Scenic Spot in Dali ist die Altstadt von Lijiang. Es ist wie eine Mischung aus Katmandu und Ibiza. Die Altstadt gehört zum Unesco Welt Kulturerbe. Wer sich dort ein Gästehaus sucht, sollte aufpassen, dass es weit genug von der Barstraße entfernt liegt.


Andererseits kann man viel Zeit in den Cafes verbringen, lesen, Yunnankaffee trinken … die Seele baumeln lassen. Da man sich erst ein wenig an die Höhe gewöhnen sollte, sind die ersten zwei Tage geradezu ideal dafür. Nicht wenige Chinesen fahren NUR dafür nach Lijiang.

Analoge Welt



In den sogenannten entwickelten Ländern spricht man gerne über etwas "Durchschnittliches". Also z.B. über das Durchschnitts-Einkommen, das Durchschnitts-Alter, Durchschnitts-Temperatur, Durchschnitts-Bildung und so weiter. Dort ergeben diese Kategorien eventuell sogar einen Sinn. Doch je weiter die Antipoden sich voneinander entfernen, desto absurder wird diese statistische Größe.

 Pferdestation am Lashi See

 

In China (wie auch in vielen anderen Regionen der Welt) sind die Unterschiede bedeutend dramatischer als in Europa. Von einem Durchschnittschinesen zu sprechen, taugt nicht viel. Die Lebenssituation der Menschen in den Glitzermetropolen an der chinesischen Ostküste kann man gerade noch mit einem Hamburger oder New Yorker vergleichen, aber keineswegs mit der eines Chinesen 4,000 km weiter westlich.

Man sollte jedoch keineswegs den Fehler machen und neue Schubladen, wie arm oder reich aufzuziehen. Das funktioniert nicht. Ich habe Nomaden in XinJiang besucht, die mit Pferden durch die Gegend ziehen, in Zelten wohnen, aus dem Fluss trinken und sich Strom mit Solarmodulen und kleinen Wasserrädern machen. Sie kochen auf offenen Holzfeuern und gehen eher zum Medizinmann als zum Arzt, weil ersterer weniger als einen Tagesritt entfernt ist. Ein Westler ist schnell bei der Hand und meint: „Die sind arm“.

Doch in dieser Welt, wo einer eine üppige Jurte und viele „gut geratene“ Kinder hat, tausend Pferde über die Steppe treibt und nicht nur sich und seine Familie, sondern auch einen Teil des Clans mitversorgt, der ist nicht arm. Natürlich gibt es auch in deren Welt Arme & Reiche - aber das ist eine andere Geschichte …

     
 Jurte mit Pferden und Modul  Grosse Jurte mit Modul  Krankenstation im Nomaden Sommerlager

 

Auch in LiJiang sind die Menschen, denen man in den Dörfern begegnet und die nach unseren Maßstäben sehr einfach leben, nicht zwingend arm. Sie leben in einer anderen Welt, mit anderen Maßstäben und oftmals auch anderen Werten. Je öfter sich unsere Welten berühren, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihre Welt verschwindet und in unsere Folklore assimiliert wird.

Das ist nicht schlecht oder gut. Es ist einfach so. Jährlich entscheiden sich 16,000,000 Chinesen im Westen dafür, im Osten ihr Glück zu versuchen. Da geht nicht etwa ein einzelner ‘junger Mann in die Stadt’, sondern es verlassen manchmal ganze Dorfgemeinschaften ihren Ort, lassen Alte und Kinder zurück und ziehen z.B. nach Shanghai - dorthin, wo es Arbeit gibt. Irgendwann, wenn sie „es geschafft“ haben, holen sie ihre Kinder und die Alten nach, werden Neubürger der Metropolen.

 Naxi Frauen machen sich ihr Fruehstueck

 

Als ich nach Westdeutschland zog, war das wie wenn ein Landei in die Stadt kommt. Für die chinesischen Wanderarbeiter sieht dies ganz anders aus. Um in der Analogie zu bleiben, das ist wie eine Reise zu einem anderen Planeten.

Wer sich zu neuen Sternen aufmacht, der ist nicht selten euphorisch, ehrgeizig und auch leidensfähig. Diese Wanderarbeiter sind kein rein ökonomisches Phänomen, sondern eine gesellschaftliche Bewegung von fast unvorstellbaren Ausmaßen.  Es gibt in China ein Sprichwort, welches unserem „per aspera ad astra“ sehr nahe kommt 吃得苦中苦,方为人上人。“Wenn du der Beste sein willst, dann musst du das bitterste vom Bitteren essen.“

Es ist jedoch keineswegs eine Erscheinung der Gegenwart. Wanderungsbewegungen, Kulturassimilation etc. gab es schon immer, mal weniger und mal mehr stark. Aber nicht nur die Wanderarbeiter ziehen, sondern auch ich, indische Informatiker oder zu einer anderen Zeit Peter Goullart und Dr.J.F.Rock

 Baisha Village - Heim von J.F.Rock

 

The Forgotten Kingdom

Im "The Forgotten Kingdom" von Peter Goullart (Пётр Гуляр) beschreibt er seine Zeit in LiJiang (LiKiang) bei den Naxi (Nakhi).


“… Then the Revolution came. The subject is still painful to me, and there is no need to relate it here as it has been described so often. My mother and I were determined to get out of Russia. We rushed by train to Turkistan, only to find terror and bloodshed in Samarkand and Bokhara. The roads from there to Central Asia were blocked. We returned to Moscow to find the situation still worse. We fled to Vladivostok where we stayed for a year. On the way we were caught in the famous Czech uprising and it took us months to get through. The dangers and horrors we passed through best remain unrelated. At last we reached Shanghai.
In 1924 my mother died and I thought I could not survive her passing. In my grief I went to the famed West Lake near Hangchow and there, quite by chance, I met a Taoist monk. …”

Auch ich landetet letztlich in Hangzhou (ohne Mönch), aber darüber hinaus zeigt das Buch Ähnlichkeiten zur aktuellen Situation in Europa. Goullart kam über Umwege nach LiJiang und sein Buch gibt einen Einblick, wie dramatisch sich das Leben im Lijiang der 30er und 40er im Vergleich zu heute geändert hat.

Das LiJiang von Goullart ist längst Geschichte. Genauso Geschichte, wie das der Naxi zu Zeiten von Mao Zhe Dong.

Der Versuch zu konservieren, um etwas zu untersuchen, zu verstehen, verändert alles. Womit wir wieder bei den Quanten sind … Und wer legt eigentlich fest, welches Zeitfenster von wem eingefroren wird? Das wäre in der Tat eine ziemliche Anmaßung, wenn jemand daher kommt und anordnet, "alles muss so bleiben, wie in diesem Augenblick ist". Es funktioniert nicht - und das ist gut so.

 Gebetsmuehlen in einem tibetisches Kloster in Lijaing

 

Selbstredend, dass man diesen Prozess nicht unnötig beschleunigen muss, sodass es zu sozialen Verwerfungen kommt. Leider haben gerade christliche Missionare immer wieder versucht, das, was sie auch schon zu Zeiten von Goullart taten, eine Kultur unter Inkaufnahme aller sozialer Probleme, nachhaltig zu zerstören und ihrem kargen Wüstenkult zu unterwerfen. Doch Gott sei Dank wussten und wissen die Naxi, womit sie es zu tun hatten „ … The Nakhi, like the Tibetans, were the despair of missionaries. Like the proverbial bad pennies, they were inconvertible. For years the Roman Catholics and other denominations have vainly tried to establish themselves in the district, although one of the British sectarian missions managed to retain a precarious foothold in the city for a short while. …“

Geschichten erzählen

Hangzhou war nur eine Zwischenstation für Goullart - wenn auch eine wichtige, wie er schreibt. Er hatte viel von dem sagenhaften Reich der “Nakhi” gehört und baggerte öfter seine abwechselnden Arbeitgeber an, ihn doch endlich dorthin zu versetzen. Die nahmen dieses Ansinnen nicht immer verständnisvoll auf, “It was, so to speak, outside China, the 'Outer Darkness', a no man's land lost in the sea of barbarous tribes who did not even speak Chinese.“

 Temple in Lijiang Guanyinxia

 

Er arbeitete in Shanghai und Kunming als AmericanExpress-Vetreter und kam irgendwann nach sieben Jahren, mittlerweile als Vertreter der Chinese Industrial Co-operatives, in Lijiang an. Zwischendurch war er u.a in Beijing, Chongqing, Chengdu … In dieser Zeit der japanischen Invasion und des Bürgerkrieges, hielt man ihn für alles Mögliche “ ... I was accused, in turn, of being a Japanese spy, Stalin's spy, Hitler's agent and, at last, a secret inspector of the Central Government. ...“ 

Es gab damals keine guten Straßen von Kunming nach Lijiang und so brauchte er für diese 600 km von Kunming über Hsiakwan (heute ein Teil von Dali) bis nach Lijiang ganze zwei Wochen. Übrigens ist die Straße von Dali nach Kunming ein Teil der berühmten Burma-Road. Heute kann man von Kunming fliegen oder von Dali mit dem Bus fahren. Seit 2018 verkehrt zwischen Dali und Kunming alle zwei Stunden der Kunming Dali High Speed Train. (Dieser ist Bestandteil des Yunnan-Burma-Singapore Train Links)

 Turm und weisse Pagode in Lijiang Guanyinxia

 

Auf dem Weg nach Lijiang erzählt Goullart vom Volk der Minkia (Bai) “ … Soon we climbed a small hill, crowned with a white pagoda, and then descended to a picturesque gate. This was the frontier between the ancient Minkia kingdoms and the Nakhi Kingdom of Mu or Likiang. … “. 

Wie auch die Herkunft der Naxi im Unklaren ist, ist bis heute auch nicht wirklich geklärt, wo die Minkia (Bai) herkommen. Es gibt über die Herkunft der Völker in dieser Gegend die aberwitzigsten Theorien. So sollen die Minkia das verschollene Volk aus Angkor sein “… Nobody really knows where the Minkia came from originally. The only work of note on the Minkia, Fitzgerald's Tower of Five Glories, gives some account of their customs and beliefs but does not reveal the secret of their origin. Perhaps, as some of them claim, they are indeed the refugees from Angkor Thorn, but much research is needed to substantiate this claim. …”

Singende Naxi Frau in Lijiang Guanyinxia

 

Goullart schien ein Faible für Sprachen zu haben, denn schon auf dem Weg nach Lijiang führte er seine erste Konversation in Naxi.

“… ‘Zeh gkv bbeu? (Where are you going?)’ he asked me in Nakhi.’
Ggubbv bleu (Going to Likiang),’ I answered brightly. He pondered.
‘Nakhi kou chi kv (You understand Nakhi),’ he smiled. …”

Aber Goullart parlierte auch auf Tibetisch. Kurz nach seiner Ankunft in Lijiang entspann sich dieser interessante Dialog mit einem tibetischen Karavanenführer :

"... 'Aro, konan ndro? (Where are you going ?)' I greeted them in Tibetan.
'Lhasa la (to Lhasa),' they grinned. Then, in perfect English one of them said,
'Have a cigarette, sir!' and offered me a packet of Philip Morris. ..."

 Blick auf den Lashi See

 

Das Rauchen, das Essen und das Klima

Auch das Lijiang von Goullart wusste schon die Vorzüge der indianischen Rauchwaren zu schätzen. Tatsächlich wird in Lijiang heute der beste Tabak Chinas angebaut. Überall in der Altstadt werden die Lijiang-Zigarillos angeboten und die genau wie die kubanischen Zigarren (z.T.) von den Despalilladoras hergestellt werden. Die Naxi-Zigarren sind mild, ein wenig vanillig und geschmacklich ausgezeichnet. Die Tabaktrocknung fand Einzug in die Architektur der Naxi und gilt heute als historisch.

 Wasserlauf in der Naehe vom Lashi See

 

Wie der Tabak kam auch die Kartoffel in das vergessene Königreich, und zwar schon lange vor Goullart “… It was a surprise to me to find that they planted and ate white and blue potatoes which compared favourably in quality and size with those produced in Europe and America. These potatoes, when grown by Chinese in West China, were originally small and diseased, and it was only after they had borrowed Lolo potatoes that they were able to improve the size and quality of their own crops. …”

Kartoffeln sind genau wie in Bhutan ein wesentlicher Bestandteil der Lijianger Cuisine. Reis wächst nur sehr schwer und an wenigen Plätzen in der Gegend. Einheimischer Reis ist entsprechend teuer. Der überwiegende Teil des in Lijiang verzehrten Reis’ wird importiert.

Ein Gericht, welches man den Touristen heute allerorten vorsetzt und angeblich original Naxi sein soll, ist eine Art Sashimi aus Lachsen bzw. Forellen aus der Umgebung, wobei die Haut des Fisches vorher abgezogen und gebraten wurde. Dazu Kartoffeln und Chili. Bei Goullart jedenfalls, tauchen weder Forellen noch geröstete Fischhaut auf, dafür allerdings  “ … By all reports, the food problem there was impossible for a refined Chinese. The natives consumed things which to the Chinese were almost uneatable — mutton and beef, sauerkraut, yak butter and cheese. What was worse, everything was cooked in yak butter. …”

 Maler mit Student in Lijiang

 

Das Yak-Butter-Inferno gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Zumindest nicht für den gemeinen Touristen. Wer etwas länger in der Gegend wohnt und Naxi zu seinen Freunden zählt, wird allerdings doch noch in den Genuss kommen können. Doch auch Goullarts Naxi-Kingdom kannte schon die System Gastronomie. Dazu zählt ohne Zweifel der in ganz Asien unvermeidliche HuoGuo (Hot Pot)  “ … The meals, during the cold days of winter, would be cheerless indeed without the warm companionship of the houkou and samovar. The houkou is a Chinese-style stove, like a large bowl with a lid and on a stand, and with a chimney through the centre. Water is poured into the bowl, charcoal burns in the chimney, and raw vegetables, meat and etceteras are put into the water and soon a delicious stew is ready. As the people eat, more water and ingredients are added, as well as more charcoal, so it can supply hot food for as long as is needed. The houkou, under different names but basically the same, is most popular from Lhasa to Shanghai and from Harbin to Djakarta: the Japanese version of it is the sukiyaki. …“

Wie zuvor erwähnt, gab es viele Veränderungen in Lijiang. Die wohl dramatischste davon ist die Änderung des Klimas. Goullart schrieb noch von dicht bewaldeten Tälern und Hängen und schneebedeckten Gipfeln. Das ist heute nicht mehr so. Das Wasser im Lashihai zieht sich immer weiter zurück und selbst auf dem Jade-Schnee-Berg - dem Wahrzeichen von Lijiang - liegt nur noch ein verschämter Rest Schnee. Die Wälder haben sich zurückgezogen und die Entwaldung nimmt seit den letzten Jahren rasant Fahrt auf.  Das Gov. versucht dieser mehr oder weniger klimatisch bedingten „natürlichen“ Entwaldung, mit gigantischen Pflanzaktionen entgegenzusteuern.

 Tempel in Lijiang Guanyinxia

 

Und so wie sich das Klima und damit der Wald ändert, so ändert sich auch die gesamte restliche Fauna und Flora. Goullart beginnt sein Buch mit “This book is dedicated to DR JOSEPH F. ROCK”.  

“Joseph Franz Karl Rock (1884-1962), Botaniker, Forschungsreisender, Fotograf und Ethnograph, war eine schillernde Figur. Aus Wien stammend, hatte er sich schon als Schüler mit dem Chinesischen beschäftigt; statt zum Studium (obwohl er sich später als Doktor der Universität Wien bezeichnete) trieb es ihn in die Welt hinaus, und er nahm Arbeit, wo sie sich bot. In Hawaii fand er seine Berufung - vom Gehilfen beim Departement of Agriculture and Forestry brachte er es, zum …
Hawaii war ihm indes bald zu eng. Für das amerikanische Landwirtschaftsministerium ging er 1922 als Forschungsreisender nach Südostasien; in der Folge boten sich …
...
Rock hatte sein Hauptquartier bei einer ethnischen Gruppe in Suedwestchina, den Na-hsi (Naxi), aufgeschlagen, deren Angehörige ihm auch bei seinen Expeditionen zur Hand gingen. Im Laufe der Zeit wurde Rock der Welt bester Kenner der eigenartigen Bilderschrift und der Rituale der Na-hsi, über die er in seinen späteren Jahren hauptsächlich publizierte. Neben Nah-hsi lernte er Tibetisch und Chinesisch, um die historischen und religiösen Quellen der Region verstehen zu koennen, stellte eine umfangreiche Arbeitsbibliothek zusammen und sammelte etwa 5,000 Manuskripte der Na-hsi.“

Aus der Einleitung zu: “Joseph Franz Rock, Expedition zum Amnye Machhen in Suedwest-China im Jahre 1926”.- Herausgeber Hartmut Walravens, Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen, Harassowitz Verlag, Wiesbaden 2003."

Rock lebte zur gleichen Zeit wie auch Goullart im Naxi Kingdom und seine Beschreibungen inspirierten James Hilton zu “The Lost Horizon” (Dt. “Irgendwo in Tibet”, verfilmt von Frank Capra, Dt. “In den Fesseln von Shangri-La“). Seit 2010 gibt es das Computerspiel "Lost Horizon".


Die erste Zeit in Lijiang wohnte Goullart bei Rock und auch später halfen sie sich immer wieder gegenseitig. Leider war Goullart kein wirklich guter Fotograf. Die Platten, die er belichtete und die in seinem Buch abgebildet sind, sind nur wenig aussagekräftig bzw. technisch fragwürdig. Die Bilder von Rock dagegen sind von ganz anderem Kaliber. (Der Klick auf das Überseekoffer-Bild führt zu einer Galerie.)

Dr.J.F.Rock ist es letztlich zu verdanken, dass wir überhaupt mitbekommen, welche Pflanzen und Tiere aus Lijiang sich aus dem planetaren Genpool verabschieden. Seine Aufzeichnungen, die er von 1920 bis 1949 in Lijiang machte, sind die Grundlage der Botanik in Lijiang.

Die Liebe, der Tod und die Frauen

Lijiang hatte eine morbide Berühmtheit, die bis heute nachhallt und immer noch viele Menschen mit Liebeskummer anzieht. Gemeint ist die Sitte des „Liebesselbstmord“.  Tatsächlich ist die ganze Problematik sehr kompliziert und tief in der Traditionen, Geschichte und Gesellschaftsform der Naxi eingebettet. Goullart widmet dieser Sitte ein eigenes Kapitel  

“… Likiang could really hold the doubtful honour of being the world's suicide capital. There was not a family that did not number a suicide or two among its members.

The men and women, who had died by their own hand or suddenly, without the benefit of the magic coin in the mouth which opened the gates of paradise, remained as earthbound spirits, flitting here and there in a rather pretty no man's land between the living and the dead. It was not a bad place and it closely resembled the material contours of the mother earth; there were hills and valleys, rivers and lakes and lush alpine meadows, overgrown with the gorgeous yuwoo flowers (The word yuwoo literally means suicide; thus there was a special variety of flower called the Suicide Flower)

The yuwoo was a ceremonial suicide and had definite rules for stepping out of the body in a decorous and dignified manner and in proper surroundings. If the suicide was to be committed at home, the drawing-room was the right place for it. If it could not be done at home, as in the case of runaway couples, a secluded and beautiful spot in an inaccessible part of the mountains was the prescribed rule.

The suicide pacts between girls and boys accounted, in my opinion, for at least 80 per cent of the suicides in Likiang. Next on the list were the unhappily married women and the rest were due to miscellaneous causes.

Mass suicide pacts were not unusual and it was related to me that once six couples were found hanging in the forest on the Horse Saddle peak, next to the Shangri Moupo. ..."

 Graeber oberhalb des Lashi See

 

Ein Erklärungsversuch für dieses Phänomen ist der grösser werdende konfuzianische Einfluss auf die Denkweise der Himalaya-Voelker inklusive des Codes der „arrangierten Ehe“. Zweifellos ist da was dran, aber als vollständige Erklärung reicht es nicht aus. Denn, wie zuvor erwähnt, haben Menschen mit Liebeskummer diese Tradition adaptiert und manche fahren genau aus diesem Grund nach Lijiang. (vergleichbar mit dem Aokigahara am Mt. Fuji). Außerdem scheint es diese Tradition schon gegeben zu haben, als die Naxi noch relativ abgeschottet lebten, denn sie ist sehr tief in der Naxi Religion verwurzelt. Eine nachträgliche Implementierung ab dem 19.Jh. ist unwahrscheinlich. Wie auch immer, das Problem existiert und das chin. Gov. versucht verschiedenes, um es gar nicht erst dazu kommen zu lassen.

 Bei einem Papiermacher

 

Das westliche Konzept der Ehe existiert zwar heute im Naxireich, aber wie bei den Musuo wird eher die „Besuchsehe“ praktiziert. Bezüglich der Naxi ist man sich ziemlich sicher, dass diese Muttergesellschaft aus einem ursprünglichen Patriarchat entwickelt hat. Goullart dazu “ … They did not revolt; they did not even protest. Instead, silently and
persistently like the roots of growing trees, they slowly evolved themselves into a powerful race until they utterly enslaved their men. They learned all the intricacies of commerce and became merchants, land and exchange brokers, shopkeepers and traders. They encouraged their men to loaf, lounge and to look after the babies. It is they who reaped the golden harvest of their enterprise, and their husbands and sons had to beg them for money, even if only a few pennies to buy cigarettes. It was the women who started courting men and they held them fast by the power of their money. It was the girls who gave their lovers presents of clothes and cigarettes and paid for their drinks and meals. Nothing could be obtained or bought in Likiang without women's intervention and assistance. …”

 Naxi Männer beim power nap

 

Allerdings gab es (und gibt es bis heute) andere matrilineare Stämme, die offensichtlich älter sind als die Naxi und sich evtl. von einer ursprünglichen Form des Matriarchats in eine moderne Variante des Matriarchats entwickelt haben. Leider wird das Bild dieser Frauen von den westlichen Esoterikern in einer Form des Femi-Bukolismus romantisiert. Und so müssen sie für alle möglichen blödsinnigen Theorien herhalten … Diese dekadente Langeweile verspüren die Naxi/Musuo nicht. Der Alltag der Naxi-Frauen und Männer ist auch heute noch hart.

 Tanzende Naxi Frauen

 

“ …The arrival of the members of a certain matriarchic tribe, living about seven days by caravan north of Likiang, always created a furore in Likiang. Whenever these men and women passed through the market or Main Street on their
shopping expeditions, there was indignant whispering, giggling and squeals of outraged modesty on the part of Likiang women and girls, and salacious remarks from men. They were the inhabitants of the Yungning duchies across the Yangtze at the apex of the great bend.

The Yungning country was a land of free love, and all efforts of the Liukhi women were concentrated on enticing more lovers in addition to their husbands. Whenever a Tibetan caravan or other strangers were passing Yungning, these ladies went into a huddle and secretly decided where each man should stay.

They were not unlike the Noble Lolos but, whilst the Lolos resembled more the classical Romans with their stern and aquiline features, the Liukhi were more of a classical Grecian type, warmer and softer and much less harsh in appearance and deportment.

The Liukhi men appeared to be vain creatures, always preening and examining themselves in the mirror. They put rouge on their lips and powdered their cheeks and sometimes called at my place not so often for medical treatment as to inquire if I could give them some perfume, powder or cheap ornament. …”

 Liebesschwuere

 

Diese Minoritäten gibt es nach wie vor, aber das chin. Gov. verbietet mittlerweile jeglichen (Sex)Tourismus, den sich die tibetischen Händler zu Goullarts Zeiten noch leisten konnten. Und dies aus triftigen Gründen, zum einen ist die Population seit damals sehr geschrumpft, zweitens gab es schon zu Goullarts Zeiten Krankheiten wie die Syphilis, die die Bevölkerung dezimierten. Heute ist es verboten, in die ausgewiesenen Siedlungsgebiete der Minderheiten außerhalb der Scenic Spots zu reisen. Umgekehrt können sich die Angehörigen der Minderheiten frei bewegen und gerade die Jüngeren werden dies wohl mehr nutzen als den Alten recht sein kann. Auch das ist der Lauf der Dinge.

 Baisha Village

 

Das Ende

Das Naxi-Kingdom war vom Zweiten Weltkrieg und vom Bürgerkrieg nur am Rande berührt. Ganz in der Nähe von Dr. Rocks Domizil in Baisha gab es ein Air Transport Command Airfield der „American Volunteer Group of Flying Tigers (14th Air Force)“. Nachdem die Japaner geschlagen waren, kehrten die Amerikaner nach Hause zurück und der Flugplatz wurde nur noch gelegentlich von den Bürgerkriegsparteien genutzt. 1949 verschwand die Kuomintang nach Taiwan und die Volksbefreiungsarmee kam nach Yunnan. Wie auch die Ausländer in Shanghai rüsteten sich in Lijiang Dr. Rock und Goullart (nicht ganz freiwillig), das Land zu verlassen.  

 “ … The Fates, stern to me in many other ways, have been kind in vouchsafing me long travels in Asia which even now, I have a feeling, are not at an end. I had always dreamed of rinding, and living in that beautiful place, shut off from the world by its great mountains, which years later James Hilton conceived in his novel Lost Horizon. His hero found his 'Shangri-La' by accident. I found mine, by design and perseverance, in Likiang.
Singapore, Summer 1955”

 Wasserfall in der Naehe von Lijiang Guanyinxia

 

Located between 10004'-10016'east longitude and 2703'-2740' north latitude, Jade Dragon Snow Mountain (Yulong Mountain) is the southernmost glacier in the Northern Hemisphere. Consisting of 13 peaks, among which Shanzidou is the highest with an altitude of 5,600 meters (18,360 feet), the mountain stretches a length of 35 kilometers (22 miles) and a width of 20 kilometers (13 miles). Looking from Lijiang Old Town in the south which is 15 kilometers (nine miles) away, the snow-covered and fog-enlaced mountain resembles a jade dragon lying in the clouds, hence the name. - See more at: http://www.travelchinaguide.com/attraction/yunnan/lijiang/jade_dragon.htm#sthash.79SO8WbO.dpu

* Ende *

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